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Klabund (Bürgerl.: Alfred Henschke)
(*04. Nov. 1890   †14. Aug. 1928)

Der dt. impress. und expressionistische Dichter konstruierte sein Pseudonym aus: Klabautermann und Vagabund.

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Gotteslästerung (Brief)
  
»Sie erweisen mir die Ehre, sich in einem Antrag mit meiner bescheidenen Person zu beschäftigen. Ein Gedicht von mir: Die Heiligen Drei Könige hat, so erklären Sie, Ihr religiöses Gefühl verletzt ...«

Die Briefmarke auf der Feldpostkarte
  
»Hauptmann R. schied ungern von seiner schönen jungen Frau, die er vor einem Jahre geheiratet hatte ...«

Stammtisch
  
»Eines Abends erschien am Stammtisch 'Hindenburg' ein junger magerer Mann, den niemand kannte, und machte sichs bequem ...«

Im neunten Monat
  
» Acht Monate hatte ich den Krieg getragen. Wie eine Mutter verweint und scheu ein Kind unterm Herzen trägt, das ihr ein blauhaariger Vagabund in verwünschter Notzucht aufgedrungen. Im neunten Monat hielt ich es nicht mehr aus.
Ich stieß den Krieg von mir.
Ich abortierte ...«

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Vermischtes: 
 Offener Brief an die Nationalsozialistische Freiheitspartei Deutschlands 


[*Der Brief wurde am 24.Mär.1925 in der Zeitschrift: 'Weltbühne' abgedruckt. **Es geht in dem Brief um das Gedicht: Die Heiligen Drei Könige' aus Klabunds 'Harfenjule-Zyklus'.]



EXIF: b_9930m.jpg © wispor.de


Die heiligen drei Könige

(Bettelsingen)

Wir sind die drei Weisen aus dem Morgenland,
Die Sonne, die hat uns so schwarz gebrannt.
Unsere Haut ist schwarz, unsere Seel ist klar,
Doch unser Hemd ist besch ... ganz und gar.
Kyrieeleis.

Der erste, der trägt eine lederne Hos',
Der zweite ist gar am A ... bloß,
Der dritte hat einen spitzigen Hut,
Auf dem ein Stern sich drehen tut.
Kyrieeleis.

Der erste, der hat den Kopf voll Grind,
Der zweite ist ein unehlich' Kind.
Der dritte nicht Vater, nicht Mutter preist,
Ihn zeugte höchstselbst der heilige Geist.
Kyrieeleis.

Der erste hat einen Pfennig gespart,
Der zweite hat Läuse in seinem Bart,
Der dritte hat noch weniger als nichts,
Er steht im Strahl des göttlichen Lichts.
Kyrieeleis.
- - -



Meine Herren!

Sie erweisen mir die Ehre, sich in einem Antrag mit meiner bescheidenen Person zu beschäftigen. Ein Gedicht von mir: Die Heiligen Drei Könige hat, so erklären Sie, Ihr religiöses Gefühl verletzt, und Sie rufen gegen dieses Gedicht, Kanonen gegen einen Sperling, den Staatsanwalt auf.

Ich bin, so darf ich wohl sagen: entzückt, daß es in dieser stumpfen, dumpfen Zeit noch Menschen gibt, die durch ein Gedicht, ein Kunstwerk also, im tiefsten Herzen erregt und erschüttert werden. Die Aufgabe der Kunst ist ja grade, die Seele zu bewegen und aufzuwühlen. Zu bewegen, wie der Wind die Blüte bewegt. Aufzuwühlen, wie der Sturm das Meer aufwühlt. Während der heutige Mensch allen möglichen mechanischen Reizen wie Radio, Rassenhaß, Boxsport, Theosophie, Weltkrieg und Jazz leicht zugänglich ist, verhärtet und verkrustet sich sein Inneres immer mehr, und es muß schon allerlei geschehen, bis er vor einem Kunstwerk, positiv oder negativ eingestellt, sich elektrisch oder explosiv entlädt.

Was also, meine Herren von der Reaktion, Ihre Reaktion auf mein Gedicht betrifft, so bin ich durch sie sehr beglückt. Was aber nun die Folgerungen angeht, die Sie aus Ihrem erregten Zustand zu ziehen belieben, so muß ich vor allem meiner höchsten Verwunderung darüber Ausdruck geben, daß Sie, meine Herren vom Hakenkreuz, in deren Reihen dem altgermanischen Wodanskult das Wort geredet wird, für die das Paradies in Mecklenburg liegt und die sich über den schlappen Christusglauben so oft offenkundig lustig gemacht haben – daß Sie, meine Herren Heiden, die allenfalls für Wodanslästerung zuständig wären, daß ausgerechnet Sie für den von Ihnen immer über die Achsel angesehenen Christengott eintreten und über Gotteslästerung wehklagen. Und was ist das für eine »Gotteslästerung«? Ich kann in dem fraglichen, inkriminierten Gedicht weit und breit keine Gotteslästerung finden – dagegen finde ich bei Ihnen, die sich so gern als Deutscheste der Deutschen bezeichnen, ein gradezu hanebüchene Unkenntnis deutscher Volksbräuche. Denn das Gedicht Die Heiligen Drei Könige bezieht sich gar nicht, wie von Ihnen wohl angenommen, auf die drei Weisen aus dem Morgenland, sondern auf einen am Heiligendreikönigstag in vielen Gegenden Deutschlands geübten Brauch: da ziehen nämlich, als Heilige Drei Könige karikaturistisch kostümiert, drei Burschen im Dorf herum, um mit mehr oder weniger ruppigen Versen bei den Bauern Bier und Schnaps zu schnorren.

Diese Verse sind derb, frech, witzig – aber gotteslästerlich? Du lieber Gott! Ich glaube, du hast deine rechte, recht göttliche Freude an ihnen. Denn du bist ja kein nationalsozialistischer Abgeordneter. Du hast ja sogar den Teufel geschaffen, weil dir in deiner ewigen Güte gar nicht wohl war und du eine Art Gegengewicht brauchtest. Ja, ohne den Teufel wärst du eigentlich gar nicht denkbar, gar nicht vorstellbar. Gott und Teufel, Tag und Nacht, Mann und Weib – eines wird erst am andern, an seinem Gegensatz recht sichtbar. Wie ja auch die Nationalsozialistische Freiheitspartei notwendig ist, damit man sieht, daß es auch gescheite Leute auf der Welt gibt. Diese, wozu hoffentlich auch der Staatsanwalt gehört, mögen der Partei klarmachen, sofern man den Dunklen etwas klarmachen kann: daß, wenn ein zwar derbes, aber harmloses Gedicht wie 'Die Heiligen Drei Könige' eine Gotteslästerung sein soll (was dem einen sein Gott, ist dem andern sein Teufel), Goethes Faust von Gotteslästerungen nur so strotzt, daß Goethe auch ein Gedicht von den Heiligen Drei Königen geschrieben hat, Epiphanias betitelt, das für den Antrag auf Gotteslästerung vielleicht noch in Betracht kommt.

Neben Goethe auf der Anklagebank zu sitzen, würde sich zu einer besonderen Ehre schätzen

Ihr ergebener Klabund




Vermischtes:  Die Briefmarke auf der Feldpostkarte  (Klabund)


EXIF: b_9930m.jpg © wispor.de


Hauptmann R. schied ungern von seiner schönen jungen Frau, die er vor einem Jahre geheiratet hatte, und die, 18 Jahre alt, noch heute ein Kind war. Er brachte ihr jene väterlichen Gefühle entgegen, die dem Manne über 35 Jahren so leicht werden. Wie sollte er aus der Ferne für sie sorgen? Sie war seiner Sorge ewig bedürftig.

Und ein hilfloses kleines Mädchen ohne seine leitenden Blicke, Gebärden und Worte, mit denen er sie bald zärtlich, bald streng wies oder verwies. Sollte er sie ihren Eltern, dem Zahnarzt P. und seiner Gattin, für die Dauer des Krieges anvertrauen? Er war froh, daß er sie deren seelischen Plombierapparaten und Kneif- und Brechzangen entrissen hatte. So ließ er sie in der Obhut einer älteren Tante, welche schlecht hörte, aber vortrefflich und ausdauernd Klavier spielte. Er hoffte, daß Annette (so hieß die schöne junge Frau) den Tröstungen der Musik nicht unzugänglich sei und mit ihrer holden Hilfe die Trennung leichter überwinden werde. Nun ist Chopin nicht die rechte Musik, jemand auf helle Gedanken zu bringen. Aber was blieb dem älteren Fräulein übrig, als Chopin zu spielen? Da sie ihn und nur ihn seit 43 Jahren spielte? Sie spielte Chopin, und Annette lauschte, seufzend und strickend.

Zum Abendbrot erschien jeden Mittwoch und Samstag ein entfernter Vetter von ihr, ein junger Postreferendar, welcher entweder als unabkömmlich erklärt war oder dem ungedienten Landsturm angehörte. Er erzählte ihr von seiner Briefmarkensammlung, und sie lachte gern mit ihm. Eines Mittwochabends küßte er sie im Korridor. Und den Samstag darauf wußten sich ihre Lippen kaum zu trennen. So ineinander verbrannt waren sie.

Hauptmann R. machte Namur und Charleroi mit. Er wurde in den Straßenkämpfen schwer verwundet und in das Lazarett von Lüttich eingeliefert. Hier lag er nun und träumte fiebernd von seiner jungen, schönen Frau, welche noch ein Kind war. Sollte er ihr schreiben lassen, wie es um ihn stünde? Eine nie zuvor begriffene Eifersucht ließ ihn heftiger glühen, da er sein Weib blühend und gesund und sich selber für alle Zeit verkrüppelt und verstümmelt fühlte. Er diktierte der Schwester eine Feldpostkarte: "Liebe Annette, ich liege leichtverwundet im Lazarett von Lüttich, Du brauchst Dir keine schlimmen Gedanken zu machen. Sei umarmt von Deinem getreuen Gerd." Aber auf die Feldpostkarte klebte er eine belgische Briefmarke. In den Tagen ihrer Verlobung hatten sie ihre heimlichen Liebesgeständnisse immer in winziger Schrift unter der Briefmarke verborgen.

Die Feldpostkarte langte eines Samstagabends an.

"O," sagte Annette bedauernd, "er ist leicht verwundet. Aber es geht ihm gut." "Zeig einmal die Briefmarke," sagte der Postreferendar. "Willst Du sie für Deine Sammlung haben?" fragte Annette und begann, sie vorsichtig abzutrennen. Leise erschrak sie und las: "Wenn es Dich treibt, im Gedächtnis unserer Brautzeit die Marke zu entfernen, so weiß ich, daß Du mich noch liebst wie einst, und daß Du stark genug bist, auch das Entsetzlichste zu vernehmen und mit heiligem Herzen zu tragen: meine Augen sind erblindet, meine Füße von einer Granate zerrissen. Ich bin nur noch ein Stumpf. Sei stark. Es liebt Dich wild wie je Dein Gerd."

Annette faßte sich an die Brust. Sie wollte schreien. Der Postreferendar war erblaßt. Im Nebenzimmer spielte die Tante einen Chopinschen Walzer. Wie zwei zerschossene Vögel fielen die Augen der Annette tot in sich zusammen.




Vermischtes:  Stammtisch  (Klabund)


Eines Abends erschien am Stammtisch »Hindenburg« ein junger magerer Mann, den niemand kannte, und machte sichs bequem.

Er stellte seine Röllchen untern Stuhl und trug dem in *devoter Erschrockenheit herbeieilenden Kellner auf, einen Würfelbecher zu beschaffen. Der klapperte nun bald in der knochigen Hand des jungen Mannes, welcher die Bank hielt. Es galt lustige Sieben.

"Einsatz," sagte der junge Mann, "nicht unter zehn Mark. Ich nehme auch immobile Werte in Zahlung: hohle Köpfe, rote Herzen, Bauterrains zu Friedhöfen geeignet, eiserne Kreuze und so weiter. Nur keine weiblichen Brüste. Sie widerstehen mir ..."

– Es ging wie mit dem Teufel zu. Jeder verlor. Der wabblige Amtsgerichtsrat seine (unbeträchtlichen) juristischen Kenntnisse. Der Apotheker seinen Giftschrank. Der Oberlehrer wollte seinen Verstand verlieren und in Zahlung geben. Aber der junge Mann wies ihn als unbrauchbar und defekt zurück.

– Der junge Dichter verlor sein Herz. Als er es nun auszahlen wollte, stellte es sich heraus, daß er gar keines hatte, sondern daß er dasselbe besaß wie der junge Mann. Er konnte es also überhaupt nicht verlieren. Da erkannten sie sich und tranken Duzbrüderschaft. Nachher pokerten sie noch zu zweien, und siehe:

der Dichter hielt alle Damen in der Hand, der junge magere Mann nur das Pique-Aß. So übertrumpfte der Dichter den Tod.




-  'Im neunten Monat' (Klabund): 


EXIF: c_2051m.jpg © wispor.de


Acht Monate hatte ich den Krieg getragen. Wie eine Mutter verweint und scheu ein Kind unterm Herzen trägt, das ihr ein blauhaariger Vagabund in verwünschter Notzucht aufgedrungen. Im neunten Monat hielt ich es nicht mehr aus.
Ich stieß den Krieg von mir.
Ich abortierte.
Es wurde eine Mißgeburt. Ein riesenhafter wachsweicher Kopf. Eine hölzerne Brust. Und keine Beine. Nur Eisenstümpfe. Ich stopfte ihm Gräser ins Maul. Moos wuchs aus seiner Nase. Die Augen fielen wie goldene Kiesel aus ihren Höhlen. Er erstickte. Ich wurde verrückt.
Ich ging zu einem Spezialisten für nervöse Überreizung.
Er tanzte wie eine braune Medizinflasche vor mir und ließ immerzu knallend seinen Korken springen: »Sehen Sie weiße Mäuse? Sind Sie Alkoholiker? Klettern Sie im Traum permanent an Telegraphenstangen empor? Blasen sie das Waldhorn?« Ich schlug dem Arzt die Hirnschale ein und floh entsetzt, als ich – zu spät – bemerkte, daß er die Uniform eines Reservestabsarztes und die gelben Äskulapstäbe auf den Achselklappen trug. Dies brachte mich auf den Gedanken, mir statt eines Spazierstockes, den ich auf meinen nächtlichen Wanderungen im Wolkengebirge und auf der von Sternen ganz verschütteten Milchstraße dringend benötigte, einen Äskulapstab zu kaufen. Übrigens: der liebe Gott sollte auf dem Himmel endlich einmal eine Chaussee bauen lassen, daß man ihn ohne Gefahr eines Genickbruches passieren kann. Wozu hat er denn seine Fremdenlegion, in der ja doch nur Teufel dienen. Höchstens, hier und da, ein Engel als Korporal. Um einen Äskulapstab zu bekommen, frug ich in 111 Geschäften nach. Niemand hatte einen Äskulapstab vorrätig, auch Tietz nicht. Und ob ich vielleicht einen dieser modernen Stöcke ohne Griff meine? Ich war sehr erstaunt, daß es Stöcke ohne Griff gibt.
Da muß es doch auch Menschen ohne Köpfe geben.
Ich kaufte mir Bleisoldaten, und zwar nur Kavallerie, damit ich Reiten lerne, und spielte damit.
Abends ging ich auf den Feldern vor dem Schwabinger Krankenhaus spazieren. Wenn ich eine Blume pflückte, rann rotes Blut aus ihrem Stiel. Jagte ich einem Schmetterling nach, so war es ein Totenkopffalter. Wollte ich in eine Trambahn stürzen, so erwies sie sich als Leichenwagen. Ich malte mir ein rotes Kreuz auf die Stirn, schrie: »Christus«, und meldete mich zur freiwilligen Kranken- und Verwundetenpflege.

Ich hätte gern noch einmal ein Mädchen geliebt. Aber die Mädchen, die ich traf, hatten allesamt Glasaugen, falsche Haare aus Seetang und künstliche Gliedmaßen. Die allerschönsten wurden in Rollstühlen gefahren und hatten keinen Unterleib. Fahr wohl, du schöne Welt, sagte ich mir und ließ mich von einer Konservenfabrik zu Büchsenfleisch verarbeiten.


















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Originalfoto:3.888 x 2.592Zeit: 13. Feb. 2008 / 12:15
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