Vermischtes:
'Die Kuh' (Hebbel)
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In seiner Wohnstube, die sehr niedrig und auch etwas räucherig war, weil es dem
Hause nach dem herkömmlichen Brauch des Dorfs am Schornstein fehlte, saß der
Bauer Andreas an dem noch vom Großvater herstammenden alten eichenen Tisch und
überzählte vielleicht zum neunten Male ein kleines Häuflein Taler-Scheine. Er
hatte die Pfeife im Munde, und daran konnte man sehen, daß es Sonntag sei, da
er sich die mit dem Rauchen verbundene kleine Zeit- und Geldverschwendung bei
seiner knappen, ängstlich-genauen Natur an keinem anderen Tage erlaubt haben
würde; sie brannte aber nicht und war auch noch gar nicht angezündet gewesen,
obgleich das Talglicht, wobei es hatte geschehen sollen, schon lange geflackert
haben mußte.
Um ihn herum, bald zum Vater auf die Bank kletternd und ihm ernsthaft
zuschauend, bald den durch die offenstehende Tür aus- und einwandernden
gravitätischen Haushahn jagend und neckend, spielte sein Kind, ein munteres,
braunes Knäblein von zweieinhalb bis drei Jahren.
»Den da« - murmelte Andreas und hielt einen der Scheine mit sichtlichem Behagen
in die Höhe - »bekam ich für die Fuhre Sand, die ich dem Maurermeister Niclas
in die Stadt lieferte, als es, wie mit Mulden, vom Himmel goß; ich kenne ihn an
dem Riß. Ein braver Mann; ich hatte ihm einen Groschen wieder herauszugeben,
aber er ließ mir den wegen meiner durchnäßten Haut. Freilich, einen Schnaps
habe ich nicht dafür getrunken, wie er wollte!«
»Diesen hier« - fuhr er fort - »habe
ich am sauersten verdient, es ist der mit dem großen Dintenfleck! Wer dem Apotheker einen
ganzen Futtertrog voll Kamillen bringen will, der muß sich oft bücken, und das ist nach dem
Feierabend nicht bloß für die Faulen mühsam!«
»Der zerfetzte und wieder zusammengeklebte" - begann er nach einer Pause von
neuem - "ärgert mich jedesmal, wenn ich ihn ansehe, ich werde den Verdruß nicht
los. Anderthalb hätten's sein sollen, wenn sie auch gerade nicht ausdrücklich
zum voraus bedungen waren. Drei Klafter Holz! Ins Bein hieb ich mich obendrein
vor übergroßem Eifer, weil ich's den Leuten gern, ehe der Regenguß kam, in den
Keller schaffen wollte! Und ein solcher Abzug! Dabei trägt die Frau goldene
Ohrringe, und das Kind weiß nicht, ob es eine Semmel ohne Butter essen will
oder nicht!«
»Brüllt's nicht schon?« Er sprang auf und eilte ans Fenster.
»Nicht da« - sagte er zurückkehrend -
»das kam aus dem Stall des Nachbars! Nun,
morgen wird aus dem meinigen geantwortet werden! Na, Junge« - hierbei klopfte
er sein Knäblein auf die Wange und reichte ihm eine dem Hahn entfallene bunte
Feder - »noch heute erhalten unsere beiden Esel Gesellschaft. Dein Vater hat's
endlich soweit gebracht, die Kuh ist schon unterwegs! Du mußt das Pferd
schaffen, wenn Du groß wirst! Hörst Du?«
Das Kind nickte, als ob es verstände, was es doch noch nicht verstehen konnte.
Andreas setzte sich wieder an den Tisch.
»Freilich, freilich« - begann er abermals, indem er einen Zehn-Taler-Schein
ergriff - »es würde noch eine gute Weile gedauert haben, wenn das Glück mich
nicht begünstigt hätte! Ha, Ha! Das war ein Fischfang, der sich der Mühe
verlohnte, obgleich der Fisch nicht zu den eßbaren gehörte. Ei, daß ich doch
immer, wie jenen Abend, von ungefähr daraufzukäme, wenn sich einer ersäufen
will, und die Rettungsprämie erwischte! Ich bringe jeden wieder ans Ufer, ärger
kann sich keiner sträuben, als der Leinweber sich sträubte, er hätte mich fast
in den Grund des Teichs mit hinabgerissen! Noch fühl' ich seine Klauen in
meinem linken Arm, und ernstlich hat er's gemeint, denn drei Tage nachher
schnitt er sich den Hals ab! Doch was gelingt unsereinem nicht, wenn man weiß,
daß einem eine Belohnung von zehn Talern gewiß ist! Lange währt's aber, es wird
ja schon Nacht! Daß der Müller meiner Geesche Bier und Brot vorgesetzt hat,
kann ich mir nicht denken! Dann müßte sein Profit größer sein, als ich glaubte,
und er hätte mich trotz aller Vorsicht angeführt! Ich will einmal vor die Tür
gehen!«.
Andreas stand auf und tat jetzt den ersten Zug aus der Pfeife.
»Ja so« - rief er aus -
»Du brennst noch nicht, und ich meine, schon eine halbe Stunde zu schmauchen! Nun, umsonst will
ich Dich nicht gestopft haben.«
Er nahm ein altes brüchiges Zeitungsblatt vom Tisch in das die Scheine eingewickelt
gewesen waren.
»Jetzt brauche ich's nicht mehr« - sprach er, indem es es beim
Licht anzündete - »noch heute geht das Geld aus dem Hause, denn der Müller kommt
gewiß mit, ich tät's an seiner Stelle auch!« Er steckte die Pfeife in den Brand und warf das
Blatt an die Erde. Das Kind hatte dem plötzlichen Aufflammen desselben mit
leuchtenden Augen zugesehen, es rief jetzt: »Ah!« und hob das
Blatt wieder auf und »Brenn' Dich nicht!« sagte Andreas und ging
hinaus. Es war völlig finster geworden, und der qualmige Nebel, der den Tag über die Sonne verhüllt
hatte, verhallte jetzt die Sterne.
»Wo sie nur bleibt!« - murrte Andreas, sich mit dem Rücken
verdrießlich an den Türpfosten lehnend - »nun werd' ich bald ungeduldig!
Ob sie aufs neue zu dingen angefangen hat? Glück zu, aber vor dem will ich den Hut abziehen, der da noch
einen Groschen abzwackt, wo ich den Handel schloß! Ich könnte ihr entgegengehen, doch sie hat den
Pflügerjungen ja bei sich, und dann ist hier auch das Kind. Zwar, das könnte ich zu Bett bringen!«
Andreas ging wieder hinein.
»Satan!« rief er aus und blieb einen Moment mit weit aufgerissenem
Munde und fast aus den Höhlen tretenden Augen auf der Schwelle der Stube stehen. Der
Knabe kniete auf der Bank, die er erklettert hatte, und verbrannte beim Licht
eben mit Frohlocken den letzten Kassenschein; das Flackern des Zeitungsblatts
hatte ihm eine unendliche Freude gemacht, aber die Freude hatte nicht lange
genug gedauert und, um sie zu erneuern, tat er alles nach, was er vorher seinen
Vater, aufmerksam und neugierig zu ihm emporschauend, hatte tun sehen.
»Au!« schrie das Kind nach einer Weile, denn das als letztes zu
lange festgehaltene Papier brannte es auf die Finger; »mehr!«
setzte es hinzu, als es, das Auge nach der Tür wendend, den fast versteinerten Andreas erblickte.
Dies Wörtchen weckte diesen aus seiner Erstarrung; »mehr, Du Teufelsbrut?«
rief er aus, stürzte auf sein Söhnchen zu, faßte es, seiner selbst nicht mehr
mächtig, bei den Haaren und schleuderte es ingrimmig gegen die Wand, als ob es
eine giftige Schlange wäre, deren Stich er eben gefühlt hätte.
»Mehr!« sagte er dann,
»noch mehr, viel mehr«,
und riß den am Ofengestell hängenden neuen Strick herunter, mit dem er die Kuh hatte anbinden wollen,
denn ein schneller, scheuer Blick zur Wand hinüber hatte ihm gezeigt, daß das Kind
laut- und leblos mit geborstenem Schädel und mit verspritztem Gehirn am Boden lag.
Er tat einen Schritt vorwärts, aber die Beine wollten unter ihm brechen, und er
griff um sich herum in die Luft, wie nach einem Gegenstand, an dem er sich
halten könne; da ließ sich in geringer Entfernung von seinem Hause klar und
deutlich das so lange ersehnte Gebrüll vernehmen. Dies schien ihm die Kraft zu
einem plötzlichen Entschluß zu geben; er rief:
»gute Nacht, Andreas!« und
stürzte mit dem Strick auf die Hausflur hinaus. Hier stand eine Leiter, die auf
den Boden führte, von dem er schon am Mittag einen Haufen Stroh zum Streuen für
die Kuh vorsorglich herabgeworfen hatte; diese Leiter eilte er so schnell
hinauf, daß ihm sein Hut, den er nach Bauernsitte im Hause, wie auf dem Felde
trug, darüber entfiel. Nun verschwand er in der Luke und bald darauf knackte
der Dachstuhl.
Fast in demselben Augenblick wurde es laut vor der Tür.
»Nun, Andreas, bist Du eingeschlafen?«
- rief eine weibliche Stimme - »das pflegst Du doch sonst nicht
zu tun, eh' Du Deine Grütze im Leibe hast!«
»Spring hinein, Hans, und weck' ihn!«.
Hans, ein nach Art der Mistgewächse lang aufgeschossener, aber spindeldürrer Junge,
tat, wie ihm geheißen wurde, während Geesche die Kuh festhielt.
Gleich darauf kam er wieder heraus und stotterte:
»Aber Frau, aber Frau!« ohne
mehr hervorbringen zu können.
»Was ist's? Was gibt's?« rief Geesche, von seiner Leichenblässe
und seinem Zähngeklapper erschreckt, und stürzte hinein. Hans griff nach dem Licht und
sagte: »Der Bauer ist nicht da«, dann leuchtete er nach
dem Ort hin, wo das Kind lag.
Mit einem jähen Schrei sank die Mutter um und blieb bewußtlos liegen. Hans
verlor die Besinnung nun völlig. »Bauer, Bauer, wo ist er? wo bleibt er?«
rief er wohl hundertmal hintereinander und rannte, das Licht in der Hand, im ganzen
Hause, wie toll, umher.
Als er aus der Küche zurückkehrte, wo er ins Ofenloch hineingeleuchtet hatte, stolperte er am Fuß der
Leiter über Andreas' Hut, der dort niedergefallen war.
»Hat er sich oben versteckt, Bauer?« - rief Hans -
»komm' er jetzt nur herunter, wir sind da!«
Da keine Antwort erfolgte, stieg er selbst empor. Als er den Kopf in die
Bodenluke steckte und, eine neue Leitersprosse ersteigend, Hals und Schultern nachschob, stieß er auf
Widerstand, der von etwas herrührte, das ihn anfangs
zurückzudrängen, sich dann zu spalten und auseinanderzuteilen schien.
Der Angstschweiß brach ihm aus, ihn fing zu fiebern an, und ohne zu wissen, daß
er's tat, stieg er noch höher. Jetzt war es ihm, als ob sich ein sehr schwerer
Mensch, wie zum Reiten, auf seinen Nacken setzte, zwei steife Beine, in denen
er an den breiten Messingschnallen der Schuhe die seines Wirts erkannte, kamen,
wie Zinken einer Gabel, links und rechts auf seiner Brust zum Vorschein, und
durch das eine derselben wurde ihm das Licht aus der Hand gestoßen. Nun stieß
er noch einen unartikulierten Laut aus, dann überschlug er sich rücklings,
stürzte und brach das Genick.
Das Licht war nicht verlöschen, ohne vorher den Haufen losen Strohs zu
entzünden, und in wenigen Minuten stand das Haus in Flammen. Ob Geesche, als
dies alles geschah, aus ihrer Bewußtlosigkeit noch nicht wieder erwacht und
willenlos in der aufs schnellste von Rauch und Qualm gefüllten Stube erstickt
war, oder ob sie aus Verzweiflung über das fürchterliche Ende ihres Kindes
verschmäht hatte, sich zu retten, hat sich nicht ermitteln lassen. Soviel steht
fest, daß von ihr, wie von Andreas, Hans und dem Knäblein nur ein
verschrumpftes Gerippe aus dem Hause herausgekommen, und daß auch die Kuh, dem
diesen armen Tieren angeborenen unseligen Trieb folgend, ins Feuer
hineingelaufen und mit verbrannt ist.
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