SPRACHE  
  Deutsch-sprachige Autorinnen und Autoren

  Gedichte: Johann Wolfgang von Goethe

Themen | !zurück!    



 B   G   V   Z    Katalog              





  Gedichte:

• Faust 1
   »Ihr naht euch wieder,
     schwankende Gestalten ...«

• Ein Anderes
   »Geh! Gehorche meinen Winken,
    nutze deine jungen Tage, ...«

• Wer nie sein Brot
   »Wer nie sein Brot mit Tränen ass,
    Wer nie die kummervollen Nächte ...«

• Erlkönig
  »Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
    Es ist der Vater mit seinem Kind; ...«

• Der Fischer
   »Das Wasser rauscht',
    das Wasser schwoll, ...«

• Gefunden
   »Ich ging im Walde
    so für mich hin, ...«

• Das Göttliche
   »Edel sei der Mensch,
    Hilfreich und gut! ...«

• Heidenröslein
   »Sah ein Knab ein Röslein stehn,
    Röslein auf der Heiden, ...«

• Lebensregel
   »Willst du dir ein hübsch Leben zimmern,
    Mußt dich ums Vergangne nicht
    bekümmern, ...«

• Osterspaziergang
   »Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
    Durch des Frühlings holden, belebenden
    Blick; ...«

• Reineke Fuchs
   »Pfingsten, das liebliche Fest, war
    gekommen!
    es grünten und blühten
    Feld und Wald; auf Hügeln
    und Höhn, in Büschen und Hecken ...«

• Schatzgräber
   »Arm am Beutel, krank am Herzen,
    Schleppt ich meine langen Tage. ...«

• Verkehrt
   »Wohl unglückselig ist der Mann.
    Der unterläßt das, was er kann, ...«

• Wanderers Nachtlied
   »Über allen Gipfeln
    Ist Ruh, ...«

• Der Zauberlehrling
   »Hat der alte Hexenmeister
    Sich doch einmal wegbegeben! ...«



Johann Wolfgang von Goethe (*1749 †1832)

Kurzinfo:




 Gedichte: 


 'Ein Anderes' 
  (Goethe)


b_9573m.jpg © wispor.de


Geh! Gehorche meinen Winken,
nutze deine jungen Tage,
lerne zeitig klüger sein:
Auf des Glückes großer Waage
steht die Zunge selten ein;
Du mußt steigen oder sinken,
Du mußt herrschen und gewinnen,
oder dienen und verlieren,
leiden oder triumphieren,
Amboß oder Hammer sein.









 'Osterspaziergang' 
  (Goethe, aus: "Faust I")




Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
Im Tale grünet Hoffnungsglück!
Der alte Winter in seiner Schwäche
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grüne Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes;
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben,
Doch an Blumen fehlt's im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurückzusehn.
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern;
Sie feiern die Auferstehung des Herrn.
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straße quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß, in Breit und Länge,
So manchen lustigen Nachen bewegt;
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blicken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel;
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein.








 'Erlkönig'  
  (Goethe, 1782)


c_2037m.jpg © wispor.de


Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? 
Es ist der Vater mit seinem Kind; 
Er hat den Knaben wohl in dem Arm, 
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.

Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?
Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht? 
Den Erlkönig mit Kron und Schweif?
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.

"Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel ich mit dir;
Manch bunte Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand."

Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht, 
Was Erlenkönig mir leise verspricht? 
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind; 
In dürren Blättern säuselt der Wind.

"Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn,
Und wiegen und tanzen und singen dich ein."

Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort? 
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau: 
Es scheinen die alten Weiden so grau.

"Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt; 
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt." 
Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an! 
Erlkönig hat mir ein Leids getan!

Dem Vater grausets, er reitet geschwind, 
Er hält in Armen das ächzende Kind, 
Erreicht den Hof mit Mühe und Not; 
In seinen Armen das Kind war tot.

* Erl(en)könig kommt vom dänischen: Ellerkonge und meint Elfenkönig.
Goethe hat diese (falsche) Übersetzung von J.G. Herder übernommen.








 'Der Fischer' 
  (Goethe, 1779)


b_1372m.jpg © wispor.de


Das Wasser rauscht',
das Wasser schwoll,
ein Fischer saß daran,
sah nach dem Angel ruhevoll,
kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht,
teilt sich die Flut empor:
Aus dem bewegten Wasser rauscht
ein feuchtes Weib hervor.

Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
»Was lockst du meine Brut
mit Menschenwitz und Menschenlist
Hinauf in Todesglut?
Ach wüßtest du, wie's Fischlein ist
so wohlig auf dem Grund,
du stiegst herunter, wie du bist,
und würdest erst gesund.

Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht.
Das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
Nicht her in ew'gen Tau?«

Das Wasser rauscht',
das Wasser schwoll,
Netzt' ihm den nackten Fuß;
Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll,
wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
da war's um ihn geschehn;
halb zog sie ihn, halb sank er hin
und ward nicht mehr gesehn.








 'Der Zauberlehrling' 
  (Goethe)


c_2127m.jpg © wispor.de


Hat der alte Hexenmeister
Sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
Auch nach meinem Willen leben.
Seine Wort und Werke
Merkt ich und den Brauch,
Und mit Geistesstärke
Tu ich Wunder auch.

Walle! walle
Manche Strecke,
Daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.

Und nun komm, du alter Besen,
Nimm die schlechten Lumpenhüllen!
Bist schon lange Knecht gewesen:
Nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe, =
Oben sei ein Kopf,
Eile nun und gehe
Mit dem Wassertopf!

Walle! walle
Manche Strecke,
Daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.

Seht, er läuft zum Ufer nieder!
Wahrlich! ist schon an dem Flusse,
Und mit Blitzesschnelle wieder
Ist er hier mit raschem Gusse.
Schon zum zweiten Male!
Wie das Becken schwillt!
Wie sich jede Schale
Voll mit Wasser füllt!

Stehe! stehe!
Denn wir haben
Deiner Gaben
Vollgemessen! -
Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
Hab ich doch das Wort vergessen!

Ach, das Wort, worauf am Ende
Er das wird, was er gewesen!
Ach, er läuft und bringt behende!
Wärst du doch der alte Besen!
Immer neue Güsse
Bringt er schnell herein,
Ach, und hundert Flüsse
Stürzen auf mich ein!

Nein, nicht länger
Kann ichs lassen:
Will ihn fassen!
Das ist *Tücke!
Ach, nun wird mir immer bänger!
Welche Miene! welche Blicke!

O, du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh ich über jede Schwelle
Doch schon Wasserströme laufen.
Ein *verruchter Besen, =
Der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
Steh doch wieder still!

Willst am Ende
Gar nicht lassen?
Will dich fassen,
Will dich halten
Und das alte Holz behende
Mit dem scharfen Beile spalten!

Seht, da kommt er schleppend wieder!
Wie ich mich nur auf dich werfe,
Gleich, o Kobold, liegst du nieder;
Krachend trifft die glatte Schärfe.
Wahrlich! brav getroffen! =
Seht, er ist entzwei!
Und nun kann ich hoffen,
Und ich atme frei!

Wehe! wehe!
Beide Teile
Stehn in Eile
Schon als Knechte
Völlig fertig in die Höhe!
Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!

Geister Und sie laufen! Naß und nässer
Wirds im Saal und auf den Stufen:
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister, hör mich rufen! -
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd ich nun nicht los.

In die Ecke,
Besen! Besen!
Seids gewesen!
Denn als Geister
Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
Erst hervor der alte Meister.








 'Lebensregel' 
  (Goethe)




Willst du dir ein hübsch Leben zimmern,
Mußt dich ums Vergangne nicht bekümmern,
Das Wenigste muß dich verdrießen;
Mußt stets die Gegenwart genießen,
Besonders keinen Menschen hassen
Und die Zukunft Gott überlassen.








 'Gefunden' 
  (Goethe)


b_0250m.jpg © wispor.de


Ich ging im Walde
so für mich hin,
und nichts zu suchen,
das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich
ein Blümchen stehn,
wie Sterne leuchtend,
wie Äuglein schön.

Ich wollt es brechen,
da sagt es fein:
Soll ich zum Welken
gebrochen sein?

Ich grub's mit allen
den Würzlein aus.
Zum Garten trug ich's
am hübschen Haus.

Und pflanzt es wieder
am stillen Ort;
nun zweigt es immer
und blüht so fort.







 'Verkehrt' 
  (Goethe)




Wohl unglückselig ist der Mann.
Der unterläßt das, was er kann,

Und unterfängt sich, was er nicht versteht;
Kein Wunder, daß er zu Grunde geht.








 'Wanderers Nachtlied' 
  (Goethe)




(II von 1780)

Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.


(* II ist die bekanntere Fassung!) (I von 1776)

Der du von dem Himmel bist,
Alles Leid und Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung füllest,
Ach, ich bin des Treibens müde,
Was soll all der Schmerz und Lust?
Süßer Friede,
Komm, ach komm in meine Brust.









 'Heidenröslein' 
  (Goethe)


b_3285m.jpg © wispor.de


Sah ein Knab ein Röslein stehn,
Röslein auf der Heiden,
war so jung und morgenschön,
lief er schnell, es nah zu sehn,
sah's mit vielen Freuden.
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.

Knabe sprach: Ich breche dich,
Röslein auf der Heiden!
Röslein sprach: ich steche dich,
daß du ewig denkst an mich,
und ich will's nicht leiden.
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.

Und der wilde Knabe brach's
Röslein auf der Heiden,
Röslein wehrte sich und stach,
half ihm doch kein Weh und Ach,
mußt es eben leiden.
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.








 'Der Schatzgräber' 
  (Goethe)


b_0457m.jpg © wispor.de


Arm am Beutel, krank am Herzen,
Schleppt ich meine langen Tage.
Armut ist die größte Plage,
Reichtum ist das höchste Gut!
Und, zu enden meine Schmerzen,
Ging ich, einen Schatz zu graben.
Meine Seele sollst du haben!
Schrieb ich hin mit eignem Blut.

Und so zog ich Kreis' um Kreise,
Stellte wunderbare Flammen,
Kraut und Knochenwerk zusammen:
Die Beschwörung war vollbracht.
Und auf die gelernte Weise
Grub ich nach dem alten Schatze
Auf dem angezeigten Platze;
Schwarz und stürmisch war die Nacht.

Und ich sah ein Licht von weiten,
Und es kam gleich einem Sterne
Hinten aus der fernsten Ferne,
Eben als es zwölfe schlug.
Und da galt kein Vorbereiten;
Heller ward's mit einem Male
Von dem Glanz der vollen Schale,
Die ein schöner Knabe trug.

Holde Augen sah ich blinken
Unter dichtem Blumenkranze;
In des Trankes Himmelsglanze
Trat er in den Kreis herein.
Und er hieß mich freundlich trinken;
Und ich dacht': es kann der Knabe
Mit der schönen lichten Gabe
Wahrlich nicht der Böse sein.

Trinke Mut des reinen Lebens!
Dann verstehst du die Belehrung,
Kommst mit ängstlicher Beschwörung
Nicht zurück an diesen Ort.
Grabe hier nicht mehr vergebens!
Tages Arbeit, Abends Gäste!
Saure Wochen, frohe Feste!
Sei dein künftig Zauberwort.








 'Wer nie sein Brot' 
  (Goethe)


c_5454m.jpg © wispor.de


Wer nie sein Brot mit Tränen ass,
Wer nie die kummervollen Nächte
Auf seinem Bette weinend sass,
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.

Ihr führt ins Leben uns hinein,
Ihr lasst den Armen schuldig werden,
Dann überlasst ihr ihn der Pein,
Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.








 'Das Göttliche' 
  (Goethe)


b_2493m.jpg | © wispor.de


Edel sei der Mensch,
Hilfreich und gut!
Denn das allein
Unterscheidet ihn
Von allen Wesen,
Die wir kennen.

Heil den unbekannten
Höhern Wesen,
Die wir ahnen!
Ihnen gleiche der Mensch!
Sein Beispiel lehr uns
Jene glauben.

Denn unfühlend
Ist die Natur:
Es leuchtet die Sonne
Über Bös und Gute,
Und dem Verbrecher
Glänzen wie dem Besten
Der Mond und die Sterne.

Wind und Ströme,
Donner und Hagel
Rauschen ihren Weg
Und ergreifen
Vorüber eilend
Einen um den andern.

Auch so das Glück
Tappt unter die Menge,
Fasst bald des Knaben
Lockige Unschuld,
Bald auch den kahlen
Schuldigen Scheitel.

Nach ewigen, *ehrnen,
Grossen Gesetzen
Müssen wir alle
Unseres Daseins
Kreise vollenden.

Nur allein der Mensch
Vermag das Unmögliche:
Er unterscheidet,
Wählet und richtet;
Er kann dem Augenblick
Dauer verleihen.

Er allein darf
Den Guten lohnen,
Den Bösen strafen,
Heilen und retten,
Alles Irrende, Schweifende
Nützlich verbinden.

Und wir verehren
Die Unsterblichen,
Als wären sie Menschen,
Täten im grossen,
Was der Beste im kleinen
Tut oder möchte.

Der edle Mensch
Sei hilfreich und gut!
Unermüdet schaff er
Das Nützliche, Rechte,
Sei uns ein Vorbild
Jener geahneten Wesen!

(c) Texte, Datenbanken, Auflistungssysteme, Fotos & Layout (wispor.de)
- lexikalischer Auskunftsdienst / Münster (Westfalen)